Über Lichtung
Sabine Bürger: Als ich mit dem Schneiden des Videomaterials für Lichtung beschäftigt war, fiel mir Rutgers Take a Closer Listen Buch ein. In der Einführung erinnert er sich an ein Erlebnis in einem öffentlichen Park. Die Batterien seines iPods waren leer, also lauschte er — mit den Kopfhörern noch auf den Ohren — den Geräuschen um ihn herum, und er berichtet, dass die Kopfhörer sein Hörerlebnis zu intensivieren schienen. Während ich die digitalisierten Naturfragmente auf meinem Computer betrachtete, war das etwas, mit dem ich mich identifizieren konnte. Außerdem war es meiner Ansicht nach ein sehr angemessener, d.h. zeitgenössischer Ansatz zum Erleben von Natur.
Es würde mich nun interessieren, wie Elemente aus der Natur in deine Arbeit einfließen, Steve, insbesondere in Hinblick auf Lichtung ...
Steve Roden: Ich finde Rutgers Kommentar über Technologie als Medium zur Wahrnehmung von Natur interessant. Als ich vor einigen Jahren mit einer Gruppe von Soundkünstlern in Norwegen unterwegs war, war ich der einzige unter den Künstlern, der Audioaufnahmen ohne Kopfhörer machte. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Einsatz von Kopfhörern das eigentliche Hörerlebnis filtert und man sich mehr auf das Mikrophon konzentriert als auf das eigene Gehör oder die Geräuschlandschaft des Ortes. Ich lege aber Wert darauf, dass das spätere Anhören des Audiomaterials zu Hause ein Entdeckungsprozess ist, wobei mir die Aufnahme möglicherweise etwas total anderes darbietet als das, woran sich meine Ohren erinnern. So als ob mein Erleben in der Natur die eine Perspektive darstellt, während mein Partner, das Aufnahmegerät, mir eine ganz andere Geräuschwelt präsentiert, also der Rekorder die Dinge völlig anders wahrnimmt als mein Gehör. Zurzeit mache ich viele Audioaufnahmen mit meinem Telefon. Das ist in etwa damit vergleichbar, wie wenn man eine Polaroidkamera mit sich herumträgt: die Ausrüstung muss nicht langwierig aufgebaut werden, und die Aufnahmen besitzen eine ganz eigene Qualität (und genau wie Polaroidfotos ganz andere Eigenschaften besitzen als Fotos, die mit einer Leica gemacht wurden, sind diese Audioaufnahmen von anderer Beschaffenheit, als würde man ein gutes Mikrofon und ein gutes Aufnahmegerät verwenden), sie haben ihre ganz eigene, irgendwie fragile, temporäre Qualität. Die meisten Aufnahmen für dieses Projekt habe ich in Marfa/Texas gemacht, während ich in der Natur umherstreifte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich hierin einen zeitgenössischen Ansatz sehen würde, vielmehr möchte ich gewährleisten, im Moment zu bleiben — normalerweise vertreibt die Zeit, die man zum Aufbau von Aufnahmegeräten braucht, jegliche Spontaneität. Die heutige Technologie gibt mir die Mittel an die Hand, Geräusche auf eine sogar noch bequemere Art und Weise festzuhalten, als es mit einem Walkman oder einem digitalen Aufnahmegerät möglich wäre — und der Vorteil, nicht einen ganzen Rucksack voller Equipment mit sich herumschleppen zu müssen, ist auch nicht außer Acht zu lassen.
Ich denke, die Unmittelbarkeit und die verminderte Qualität der digitalisierten Resultate sind ein Indikator dafür, wie mit den Dingen im Moment umgegangen wird. Aber wenn meine Mittel auch unkompliziert in der Handhabung und leicht zu ersetzen sind, so verbindet sich mein Umgang mit ihnen dennoch mit einem sehr bedachtsamen und fokussierten Erfahrungsprozess — und diese Mittel sind in Wahrheit zum Scheitern verurteilt, wenn es darum geht, Geräusche so wie im Leben festzuhalten. Aber mich interessiert gerade dieser Widerspruch, und vielleicht auch die Tatsache, dass Technologie an sich vollkommen ungeeignet ist, die natürliche Welt zu erfassen.
Mich würde nun interessieren, welche Rolle die Arbeit mit Video und dem digitalen Erfassen der sichtbaren Seite der Natur in Sabines Erleben von Natur spielt...
Sabine: Das Interessante an Kollaborationen ist für mich, dass man Terrains erobert, die man auf sich allein gestellt sicher nie kennengelernt hätte. Ich kann mich wirklich mit dem identifizieren, was du über die Bearbeitung deines Ausgangsmaterials im Studio gesagt hast, dass die Arbeit einem Entdeckungsprozess gleicht. Ich denke, dieser Aspekt der Entdeckung muss den gesamten Arbeitsprozess begleiten, damit ein Kunstwerk auf Dauer Bestand hat.
Wenn ich hinaus in die Welt gehe um zu filmen, tue ich dies für gewöhnlich ohne eine vorgefasste Idee. Ich positioniere lediglich die Kamera und lasse sie ihren Job tun. Erst später zu Hause, wenn ich vor dem Computer sitze und das gefilmte Material schneide, übernehme ich die Kontrolle. Es ist mit dem vergleichbar, was du über die schnelle und unkomplizierte Verfügbarkeit der technischen Hilfsmittel sagtest, wobei dein Arbeitsprozess jedoch mit etwas sehr langsamem und fokussiertem zu tun hat. Für meine Arbeit gilt ähnliches: Das Filmen an sich ist eine eher banale Aktion, da viele Entscheidungen, die traditionell der Filmemacher oder Fotograf treffen musste, heutzutage von der Kamera, also der Technologie, gelöst werden. Trotzdem erfordert eine intuitive Arbeitsweise eine bestimmte geistige Einstellung, eine Art Bereitschaft, die irgendwo zwischen hoher Konzentration und gleichzeitiger innerer Leere anzusiedeln ist. Eine interessante Einsicht, die ich während der Arbeit an diesem Projekt gewonnen habe, ist, dass das Betrachten der Bewegungen von Wasser und Spiegelungen in Wasser mit dem bloßen Auge etwas völlig anderes ist als wenn man genau dasselbe auf einem Video anschaut, was wiederum total anders als ein ganz ähnliches Motiv, das mit der Fotokamera aufgenommen wurde. Indem ich mich entschied, meine Wassermotive auf mattem Papier auszudrucken, habe ich ihnen den Oberflächenglanz und das Merkmal der Transparenz entzogen. Einige der Arbeiten sind in Folge derart transformiert, dass sie eher an Zeichnungen als an Fotos erinnern. Allerdings geht es in meinen Videofragmenten für Lichtung nicht in erster Linie um Natur, sondern um Sound – um das Sichtbarmachen von Sound. Die Bilder funktionieren nicht wirklich unabhängig davon: Es scheint mir, als ob sie durch Sound ihre Bedeutung erlangen, als ob sie erst durch Euren Sound aktiviert werden.
Aber ich denke, es ist jetzt an der Zeit, dass Rutger die Gelegenheit erhält, das Wort zu ergreifen, denn unser Projekt begann wirklich mit ihm und seinem Leaves track...
Rutger Zuydervelt: Sehr interessant, Sabine, deine Arbeitsweise scheint der meinen sehr zu entsprechen: Es handelt sich um ein intuitives Interagieren mit dem Ausgangsmaterial, und genauso verhielt es sich auch mit der Arbeit an Lichtung. Unser erster Besuch in der Galerie — und ihrer Umgebung — war daher sehr wichtig. Er bildete die Grundlage und war die Inspirationsquelle für alles, was danach folgte. Ich erinnere mich immer noch sehr gern an diesen Aufenthalt. Es war ein solch herzerwärmendes Erlebnis, dass die Arbeit am Projekt so etwas wie eine Hommage an die Galerie wurde, mit dem Wunsch verbunden, ihr etwas zurückzugeben.
Als ich nach Hause zurückkehrte und begann, mit dem Material, das ich aufgenommen hatte (brechendes Eis, das Rascheln von Blättern, das Geräusch des Windes) zu arbeiten, ging es im Grunde darum, das Material selbst sprechen zu lassen. Es ging darum zu hören und zu reagieren, und eine Handlung diktierte die nächste.
Der Grund, warum Audio und Video in der Installation so gut zusammen funktionieren, ist weniger darin zu sehen, dass wir uns vorab auf eine bestimmte Strategie geeinigt hätten. Es hatte vielmehr damit zu tun, dass wir alle drei von vorne herein irgendwo auf der gleichen Wellenlänge waren und unsere Arbeitsweisen sehr kompatibel sind. Ich denke, wir alle arbeiten mehr oder weniger intuitiv, und die Kombination unserer Ergebnisse ist tatsächlich so etwas wie die Summe all ihrer Teile. Während ich dies niederschreibe, habe ich das Endresultat in der Galerie natürlich noch nicht gesehen, kann es aber kaum erwarten...
Eine große Inspiration in diesem Projekt war für mich deine Arbeit, Steve. Vielleicht ist es nur meine ganz persönliche Interpretation, aber für mich ist dein Sound ein perfektes Beispiel, wie man Musik ‚für einen Raum’ macht. Sound, der sich mit dem Raum verbindet — der sich weder lauthals in den Vordergrund drängt noch aber den Stellenwert von Hintergrundmusik einnimmt. Seine Präsenz ist wie Luft, er füllt den Raum mit einer Atmosphäre. Er bildet eine Art zusätzliche Schicht im Raum und korrespondiert mit den anderen Geräuschen, die akustisch wahrnehmbar sind. Während ich am Sound für Lichtung arbeitete, der natürlich ebenfalls für einen Raum gedacht ist, was dies eine große Inspiration für mich. Und zwar war dies sogar, bevor du dich uns angeschlossen hattest, also kannst du dir vielleicht vorstellen, Steve, wie sehr ich mich gefreut habe, dass du dann zum Projekt hinzukamst. Jedenfalls bin ich auf deine Reaktion auf meine Interpretation deines Sounds gespannt. Wie siehst du die Beziehung zwischen deiner Musik und dem Raum, in dem sie zu hören ist?
Steve: Ah, das ist eine interessante Frage, denn in diesem Fall ‚kenne’ ich den Raum ja gar nicht — wohl aber sind mir die Arbeiten der Künstler bekannt, die das audiovisuelle Erscheinungsbild des Raums prägen werden. Was du über Drama kontra Muzak gesagt hast — über Musik, die allein im Mittelpunkt stehen will, im Vergleich mit Kaufhausberieselung — finde ich wichtig. Wie dir bewusst ist, sprechen viele Künstler die mit Sound oder Lichtinstallationen arbeiten — und ich würde mich hier selbst einschließen — über diese Medien hauptsächlich in Zusammenhang mit Atmosphäre oder Stimmung, und die Diskussion geht dabei für gewöhnlich in die Richtung, wie Sound oder Licht die Wahrnehmung eines bestimmten Raumes oder seiner Atmosphäre oder Stimmung verändern können.
In den letzten Jahren habe ich jedoch erkannt, dass, so sehr mein Sound auch eine Atmosphäre in einem Raum erzeugt, mein Anliegen sich doch sehr von dem unterscheidet, wie Musik in einem Hollywoodfilm eingesetzt wird. Mit meiner Arbeit ziele ich nicht darauf ab, einen Raum total zu verwandeln — ihn in eine intendierte Stimmung zu tauchen. Mein Ansatz ist eher von nicht zielgerichteter Art – nehmen wir als Beispiel den Unterschied zwischen La Monte Youngs Dreamhouse und einer einzelnen Grille, die irgendwo im Haus verloren gegangen ist und sich nicht wieder aufspüren lässt. Ich interessiere mich für Sound mit leicht rauen Kanten, was, wie ich finde, eine taktile Qualität darstellt, die sich menschlich anfühlt — sodass der Sound zwar eine Präsenz in einem Raum ist, aber keine allumfassende Atmosphäre. Der Sound soll nicht alles andere einfärben, so sehr mir auch daran gelegen ist, dass er mit den anderen Dingen im Raum kommuniziert – mögen deren Präsenzen nun akustisch oder mit anderen Sinnen wahrnehmbar sein.
Ich interessiere mich für Subtilität, dafür, jemanden vorsichtig anzuschubsen, ohne ihm jedoch eine bestimmte Richtung aufzuzwingen oder, wie du es ausgedrückt hast, mich lauthals in den Vordergrund zu drängen. So, als wenn man für jemanden ein paar kleine Trittsteine hinlegt, die dieser erst entdecken muss, bevor er wirklich frei umherstreifen kann. Keinesfalls möchte ich ein Audioerlebnis anbieten, das wie ein sprechendes Navigationssystem in einem Auto auftritt.
Ich denke, was ich hiermit sagen will, ist, dass zwischen dem Raum und dem Audio (oder Video) keine wirkliche Hierarchie besteht. Zugegeben, wir verdunkeln den Raum, aber trotzdem ist er mehr als ein bloßer Präsentationsrahmen — er ist eine Komponente innerhalb des Gesamtkontextes, mit der wir kommunizieren — durch die Dinge, die wir entwickeln, und wie wir sie platzieren. Durch das Konzept der Blätter im Raum erzeugen wir nicht nur eine visuelle Situation, sondern auch ein akustisches Erlebnis; auch die Besucher ‚improvisieren’ mit uns mit jedem ihrer Schritte, wenn sie sich im Raum durch das Herbstlaub bewegen. Alle Komponenten, die wir eingebracht haben, mein Sound, Rutgers Sound und Sabines Bilder, strahlen Intimität aus, und ich glaube, für mich ist der Aspekt der Intimität vielleicht die wahrhaftigste Antwort auf deine Frage, wie ich über Sound in einem Raum denke. Es ist, als ob man mit der Hand über ein Geländer streicht, das schon unzählige Male von anderen Leuten berührt wurde, ohne dass sie sich dieser Aktion bewusst gewesen wären. Und dann betritt auf einmal jemand den Raum, der seine Hand auf das Geländer legt und die Oberfläche bewusst auf der Unterseite seiner Hand spürt: Das ist eine sehr intime taktile und menschliche Erfahrung. Ich glaube, hierin liegt der Grund, warum mich Rutgers Stück, in dem er das Geräusch vom Fußboden verwendet, so stark berührt hat. Es vermittelt genau diese Art von Intimität, und meiner Ansicht nach tun viele von Sabines Bildern das gleiche.
Nun scheint mir ein guter Moment gekommen, um dich zu fragen, Sabine, wie du über Bilder und Sound denkst, nicht so sehr in Bezug auf einen bestimmten Raum, sondern im Rahmen deiner eigenen Arbeit, und wie es kam, dass du dich zu einer bestimmten Art von Soundkünstlern hingezogen fühlst, mit denen du zusammengearbeitet hast, und vielleicht auch in Bezug auf das, worüber ich mich ausgelassen habe, ob also Bilder dieselbe Sprache sprechen wie Sound...
Sabine: Lass mich zuallererst ganz kurz auf Rutgers Bemerkung über den Ort, an dem die Galerie Vayhinger gelegen ist, und unseren ersten gemeinsamen Besuch dort eingehen. Ich kenne Vayhingers und den Mindelsee nunmehr seit beinahe 20 Jahren, als ich zum ersten Mal im Mindelsee geschwommen bin, und Helena und Werner sind seitdem gute Freunde geworden. Wie Rutger schon sagte, vermittelt die Galerie eine ganz besondere Atmosphäre, es hängt irgendwie mit den Galleristen selbst zusammen, und hat sicher auch etwas mit der besonderen Lage am Bodensee zu tun, nahe zu den Grenzen zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz, das eine sehr tolerante, offene Atmosphäre erzeugt, an dem Leute und Ideen sich entfalten können. Als Rutger und ich dort zum ersten Mal zusammentrafen, geschah dies in der Mitte des Winters, und den See bedeckte eine dicke Eisschicht. Ich möchte kurz schildern, wie Rutger dem Eis Geräusche entlockte... Er bearbeitete die vereiste Oberfläche mit einem Stock, wobei er mehr oder weniger die gesamte Schicht auf dem See in Bewegung versetzte, und ungefähr 20 Meter von dem Ort, an dem wir standen, stiegen von unterhalb der Oberfläche Geräusche empor. Obwohl ich von dem zur damaligen Zeit aufgenommenen Videomaterial am Ende nichts für das Projekt verwendet habe, bildete dieses Erlebnis dennoch die Grundlage für das gesamte Projekt, und Rutger dabei zuzuschauen, wie er seine Field Recordings machte, trug erheblich dazu bei, wie ich in Folge den See, seine Oberfläche und Spiegelungen im Wasser in Beziehung zu Sound betrachtete.
Um deine Frage zu beantworten, Steve, meine Beziehung zu Musik währt noch nicht besonders lange. Ich habe sie unter anderem der Art von Musik zu verdanken, die sich mein Mann anhört, wenn er in seinem Atelier ist und malt, sowie auch dieser alten Bang & Oflufsen Hi-Fi-Anlage, die ich von meinem Vater geerbt habe (die Anlage ist tatsächlich so uralt, dass in der Gebrauchsanleitung, die mein Vater ebenfalls gewissenhaft aufhob, eine Erklärung nachgelesen werden kann, was eine CD ist). Es hat mich wirklich überrascht, als du über „einfache und leicht ersetzbare“ Aufnahmegeräte sprachst, denn meiner Ansicht nach trifft aus der Warte des Hörenden das Gegenteil zu. Ich meine, diese Art von Musik lässt sich nicht wirklich auf einem Autoradio genießen, oder etwa doch? Jedenfalls, was mich anbelangt, ohne die Soundqualität meines Bang & Olufsen Hi-Fi hätte ich vielleicht nie einen Zugang zu der Art von Musik gefunden, die ihr beiden macht.
Im Gegensatz zu den meisten Leuten hatte ich als Teenager wenig mit Rockmusik zu tun, was sich heutzutage als ein echtes Handicap erweist, denn obwohl ich mir heute zum Beispiel Brian Eno und David Bowie, oder um ein anderes Beispiel zu nennen, The Velvet Underground, Black Sabbath und Earth anhöre, ist es für mich immer noch schwierig, die Chronologie der Dinge zu erkennen, wie sich das eine aus dem anderen entwickelt hat, und warum diese bestimmte Musik zu ihrer Entstehungszeit so revolutionär war — es ist mir einfach nicht in die Wiege gelegt worden. Meine Überraschung war daher groß, als ich auf eine bestimmte Art experimenteller elektronischer Musik stieß und sich herausstellte, dass dies wirklich mein Ding zu sein schien, und dass es sich hier überdies um eine Musik handelte, die ich in meinem Kopf unmittelbar in Bilder übersetzen konnte. Jedes Mal, wenn ich etwas höre, das mir gefällt, will ich auf der Stelle ein Video machen... Diese Musik weist so viele Parallelen zu bildender Kunst auf. Sie ist minimal wie monochrome Malerei, aber im Gegensatz zu einer Menge visueller Kunst, die heutzutage produziert wird, gibt es auch Inhalte. Zurzeit bin ich mit gewissen Entwicklungen in der visuellen Kunst sehr unzufrieden, und ein Großteil meiner Inspiration kommt aus der Musik. Damit meine ich beinahe jeden Aspekt, angefangen bei den künstlerischen und technischen Entstehungsprozessen, über den Umgang mit Netzwerken, die Verbreitung der Musik, bis hin zu den visuellen Statements, die ebenfalls mit dieser Musik einhergehen. Mir gefällt die Musik von William Basinski, Ben Frost, Deaf Center und, falls ich das bislang noch nicht ausdrücklich erwähnt haben sollte, Machinefabriek. Besonders fasziniert mich die Art und Weise, wie Rutger Sound, einen einzigen Ton, endlos weiterführt, sowie die räumliche Dimension seines Sounds. Eines der ersten seiner Stücke, mit dem ich mich intensiv auseinandergesetzt habe, war Loops for Voerman, das ich seitdem auch live gehört habe, und ich bin total beeindruckt, wie sich der Sound im Raum entfaltet. Dies ist genau die Art von Audiokunst, der ich gern begegnen würde, wenn ich ein Museum besuche.
Einer der Tracks, der während unserer Kollaboration am meisten Beifall fand, ist Rutgers Floor & Radio track. Du hast ihn am Ende deines letzten Kommentars bereits kurz erwähnt, Steve. Ich würde unsere jeweiligen Erfahrungen mit diesem bestimmten Track gern etwas genauer diskutieren, und gebe mit dieser Bitte das Wort zurück an Steve...
Steve: Nun, ich bin mir nicht sicher, was den Hörgenuss im Autoradio (oder, wenn wir schon beim Thema sind, mit Ohrstöpseln) angeht. Aber ein Teil von mir — der Teil, der 1979 anfing, in einer Punkrockband in Los Angeles Musik zu spielen — möchte einwenden, dass der Gedanke, es sei unbedingt eine Luxus-Hi-Fi-Anlage vonnöten, um diese Art Musik richtig hören zu können, problematisch sein könnte. Ich frage mich, ob man in Bezug auf das Publikum nicht doch recht elitär auftreten würde, wenn man seine Musik nur auf solche Leute zuschneidet, die eine teure Musikanlage besitzen. Auf der anderen Seite, wenn Musik einen bestimmten Grad an Feinheit besitzt, ist es schon wichtig, dass die Details gut hörbar sind. Für mich stellt sich eher die Frage, wo zieht man die Grenze? Und wie steht man zu seiner einmal getroffenen Entscheidung? Wie geht man mit diesem Kompromiss um? Was das Playback für Installationen anbelangt, habe ich manchmal kleine, billige Lautsprecher, aber mitunter auch Ausstattungen der Spitzenklasse benutzt. Es ist eine situationsbedingte Entscheidung, die vom jeweiligen Ort abhängig ist, dem Timbre, der Atmosphäre, der visuellen Ästhetik, den Erfordernissen des Sounds, etc.
Was meinen Aufnahmeprozess anbelangt, ist die Klangqualität nicht der einzige Faktor, der über die Wahl meiner technischen Hilfsmittel entscheidet. Ich überlege auch, welches Verfahren in der jeweiligen Situation für mich die geeignete Aufnahme liefert. Als Aufnahmetechniker oder Musiker bin ich Autodidakt. Eigentlich bin ich visueller Künstler, Maler und Zeichner, und ich arbeite gern mit meinen Händen. Selten treffe ich Vorbereitungen, um etwas Besonderes aufzunehmen, und im Allgemeinen ist ein preiswertes Aufnahmegerät für meine Zwecke besser geeignet als eine hochwertige Ausrüstung, einfach deshalb, weil solche einfachen Gerätschaften nicht speziell aufgebaut werden müssen. Dies gestattet mir, mehr im Moment verortet zu sein, und wenn ich eine Aufnahme mit meinem Handy bzw. ohne den Einsatz von Kopfhörern mache, bin ich viel weniger von den Geschehnissen um mich herum getrennt. Wenn ich dann später meine Aufnahmen anhöre, habe ich ein geringeres Loyalitätsempfinden dem gegenüber, was ich zu der Zeit tatsächlich akustisch wahrgenommen habe, schleppe weniger Ballast mit mir herum, weniger Erwartungen, und empfinde eine größere Freiheit bei der Bearbeitung des Sounds. Der Aufnahmeprozess ist für mich nie objektiv und für gewöhnlich eher mit fotografischen Aufnahmen einer Polaroidkamera oder einer Wegwerfkamera vergleichbar — oder, ein um einen vielleicht noch zutreffenderen Vergleich heranzuziehen, mit dem Zeichnen einer schnellen Skizze auf ein Stück Papier (was seinerseits, wie das Wort schon impliziert, natürlich ebenfalls eine „Aufzeichnung“ darstellt). Ich messe dem Aufnahmeprozess nicht übermäßig viel Wichtigkeit bei und treffe niemals langwierige Vorkehrungen, um ein ganz bestimmtes Geräusch einzufangen, vielmehr nehme ich Momente, Bruchstücke der Gegenwart auf.
Sicherlich gibt es Situationen, in denen es wichtig ist, Details so präzise wie möglich aufzuzeichnen, aber es gibt wiederum auch andere Momente, in denen ich es erforderlich finde, die Dinge beinahe geistesabwesend anzugehen — absolut keine Erwartungen bezüglich dessen zu hegen, was ich erreichen will — so dass ich beim Anhören der Resultate etwas völlig Unerwartetes entdecken kann. Auf einem meiner Stücke für Lichtung hört man eine Aufnahme eines Windspiels in der texanischen Wüste. Dieses Audiofragment habe ich während eines Spaziergangs an einem extrem windigen Tag mit meinem Telefon aufgenommen. Ich erinnere mich, wie ich da stand mit meiner Jacke, an der der Wind zerrte, Staub und Blätter wirbelten überall herum, und aus allen Richtungen drangen Geräusche. Mein gutes Aufnahmegerät hatte ich nicht dabei, aber ich wollte wissen, wie es sich anhören würde, wenn ich versuchte, unter solchen Wetterbedingungen eine Aufnahme zu machen. Also nahm ich das Telefon zur Hand, und wegen der Form und Position des eingebauten Mikrophons gelang es mir, etwas wirklich Wunderschönes festzuhalten — nicht die Geräusche, die ich in der Realität vernommen hatte, sondern etwas, das ich mit einem normalen Mikrophon niemals erfasst hätte.
Rutgers Stück, der Floor & Radio Track, vereint meiner Ansicht nach beide Ansätze. Der Ton des Fußbodens ist äußerst präsent und sehr präzise im Detail, während die anderen Sounds fragiler, assoziativer und weit weniger ‚real’ sind. Eine wundervolle Kombination zweier unterschiedlicher, ineinander verschränkter Präsenzen. Mir gefällt die Spärlichkeit und auch die taktile Qualität des Sounds, der sich eher mit dem Harken von Kieselsteinen in einem Garten als dem Bestreichen eines Brots mit Butter vergleichen ließe. In meinen Augen ist dieser Sound an einem Ort irgendwo zwischen einer Richard Tuttle-Skulptur und einer Skulptur von Cy Twomby verortet. Tuttles Werk ist einfach das, was es ist, nichts ist verborgen und/oder verdeckt, während Twomblys Skulpturen immer eine Patina oder eine ‚Haut’ besitzen, die massiven Fußstücke sind für gewöhnlich mit einer beinahe flüssig anmutenden Beschichtung versehen. Bei Twombly ist das Material bearbeitet, bei Tuttle ist alles vollkommen offengelegt.
Also, Rutger, ich würde gern deine eigenen Gedanken zu diesem Track erfahren. Und vielleicht auch, wie du deinen Sound im Allgemeinen in Beziehung zu Sabines Bildern siehst. Ich finde die Tatsache, dass wir drei zueinander gefunden und einfach angefangen haben, auf eine derart kompatible Art und Weise zusammenzuarbeiten, höchst bemerkenswert...
Rutger: Steve, du hast das ganz richtig bemerkt: In meiner Musik lege ich tatsächlich großen Wert auf Kontraste. Nicht nur in Bezug auf den Track, den wir gerade diskutieren, sondern eigentlich immer. Ich kombiniere zum Beispiel laute, spröde Texturen mit einer filigranen Melodie, verbinde kalkulierte Momente mit spontaner Zufälligkeit oder verwende entfernte Echos in Kombination mit nahe am Mikrofon aufgenommenen Sounds. Die so erzeugten Reibungsflächen verleihen der Musik eine gewisse Tiefe, und sie wird auf verschiedenen Ebenen erfahrbar. Dem Hörer stehen mehrere Soundschichten zur Verfügung, durch die er sich hindurcharbeiten kann, und alle möglichen Details, die sich entdecken lassen. Genau so ist es auch mit dem Floor & Radio Track. Das (weit entfernte) Radio und der (nahe gelegene) Fußboden-Sound erzeugen einen virtuellen Raum. Man befindet sich im Zentrum von etwas, das, insbesondere in unserer räumlichen Installation, ein eindringliches Erlebnis ermöglicht. Und genau das ist es, was ich anstrebe: Musik zu erzeugen, die eine ganz eigene Welt ist, in die man sich verlieren kann.
In der Zusammenarbeit mit Sabine drehte es sich nicht so sehr um einen verbalen Gedankenaustausch. Es mag vielleicht seltsam klingen, aber weil wir die Bild- und Tonaufnahmen die meiste Zeit zusammen gemacht hatten, war eine Art ‚Gemeinsamkeit’ entstanden, die von der Umgebung, in der wir uns aufgehalten hatten, inspiriert worden war. Wir fingen dann an zu arbeiten, und es zeigte sich bald, dass unser Material sich gegenseitig komplettierte. Während ich meine Audioaufnahmen bearbeitete, wusste ich natürlich nicht immer, welche Bilder damit kombiniert werden würden, aber Sabine schien immer in der Lage zu sein, etwas zu finden, das sehr passend war, in Bezug auf Tempo und Atmosphäre. Wir verwendeten beide Aufnahmen aus der Natur und konzentrierten uns auf Nahaufnahmen von einzelnen Details und entwickelten so ein intimes, beinahe abstraktes Werk. Außerdem limitierte ich mich in meinem Arbeitsprozess stets auf ein oder zwei Ausgangsmaterialien pro Track. Dieselbe Art von Minimalismus lässt sich auch in Sabines Videofragmenten finden. Also, wie du bereits sagtest, fingen wir einfach an zu arbeiten... und es funktionierte. Wenn ich mit einem anderen Musiker zusammen improvisiere, ist es oft ganz ähnlich: Die besten Sachen entstehen, wenn man nicht viel redet, sondern einfach Musik spielt, zuhört, reagiert. Und manchmal, so wie in diesem Projekt, entsteht Magie...
Sabine: Das ist schön, was du über den Floor & Radio Track gesagt hast: das weit entfernte Radio und den Fußboden-Sound, ganz nahe am Ohr, die einen virtuellen Raum erzogen. So könnte man im Wesentlichen auch unsere Installation, als Ganzes betrachtet, beschreiben — als einen virtuellen Raum, in dessen Zentrum als temporäre ‚Heimat’ der Mindelsee gelegen ist, umgeben von weiteren Fragmenten, die ihren Ursprung an entfernten Orten haben: einer Wüste in Texas, möglicherweise einem Ort in Japan, meiner Heimatstadt in Deutschland, ich will die verschiedenen Schauplätze, denen die unterschiedlichen Ausgangsmaterialien entstammen, im Grunde genommen gar nicht explizit benennen, aber ich denke, der Schlüssel zu der Arbeit ist, dass sie sich aus den unterschiedlichsten Fragmenten zusammensetzt und dass sie von ihrer Natur her eine virtuelle Existenz ist, die temporär an einem realen Ort verortet ist.
Ich fand unseren Arbeitsablauf, das gemeinsame Aufnehmen des Materials und die anschließend Weiterentwickelung der Arbeit, wobei wir uns gegenseitig die Bälle zuspielten — du schicktest mir ein Audiofragment, worauf ich mit einem Videofragment reagierte, dann emailtest du mir wieder ein Soundfragment, usw. — so interessant, da ich auf diese Weise deinen Arbeitsprozess viel besser verstehen konnte. Wie du mit deinem Ausgangsmaterial umgingst, bestimmte Elemente wiederholt aufgriffst, andere fallen ließest, sie mit anderem abmischtest: Mit jedem neuen Fragment schien ich zu einem immer tieferen Verständnis dieses Sounds zu gelangen. Dann traf dein Floor & Radio Track ein — und ich war total überrascht. Der Track schien sowohl die Grenzen unseres Projekts sowie meine Vorstellung von Musik im Allgemeinen zu sprengen. Ich kann nicht wirklich gut in Worte fassen, was genau ich hier so ungewöhnlich finde, aber dieses Musikstück ist mit Sicherheit eins, über das ich lange nachgedacht habe, und die visuellen Fragmente dafür zu erschaffen, fand ich eine echte Herausforderung. Mit den speziellen dafür verwendeten Field Recordings nimmt der Track konzeptuell überdies eine Schlüsselrolle innerhalb unseres Projekts ein, denn er stellt buchstäblich eine Verbindung zwischen dem Draußen und dem Drinnen her, und noch spezifischer führt es den Außenraum zurück in den Innenraum der Galerie hinein.
Mein zweiter absoluter Favorit ist dein Bells & Bowls Track, Steve, und wenn ich diesen Teil unserer Installation anhöre und betrachte, bin ich ganz besonders mit der Art und Weise zufrieden, wie Audio und Video hier miteinander korrespondieren. Für mich ist dieses Fragment eine besonders gelungene Veranschaulichung, wie Natur und das Digitale —beides Elemente, die sowohl im Audio wie auch im Visuellen präsent sind — interagieren. Eine meiner ersten Begegnungen mit deiner Musik ist eng mit Galerie Vayhinger verknüpft. Als Rutger und ich uns mit den Galeristen trafen und Helena und Werner deine Arbeit vorstellten, hörten wir mit ein paar Leuten dein Winter Cuplet an. Der Raum war von Licht durchflutet, und wir feierten den Anlass gebührend mit einer kleinen Teezeremonie (und Kuchen), während wir mit den Lautsprechern experimentierten und sie an verschiedenen Stellen im Galerieraum positionierten oder uns selbst im Raum bewegten. Als das Stück beinahe zu Ende war, kamen von draußen die Kirchenglocken hinzu. Ich erinnere mich, wie Lejla sagte, dass deine Klänge, die sie an Glocken erinnerten, in keiner Weise ‚süß’ seien, sondern vielmehr äußerst präzise und fokussiert. Dies war so etwas wie eine erste Reaktion, berührt aber meiner Ansicht nach auch den Kern deines Werkes. Es hängt mit dem zusammen, was du zuvor als deine Intention, im ‚Hier und Jetzt’ zu bleiben, beschrieben hast, und ich denke, in deiner Arbeit hast du das ganz wundervoll erreicht.
Steve: Nun, ich denke, das verbindende Element zwischen uns dreien tritt in deiner Schilderung über die Erfahrung mit meiner CD, dem Klang von Teetassen — und dabei den Kirchenglocken zu gestatten, ebenfalls ein Teil des Hörerlebnisses zu werden — ganz klar zutage. Vielleicht entspringt unsere Idee, den Galerieraum mit Herbstlaub zu füllen, diesem Erlebnis. Ich denke, uns allen ist eine Offenheit zueigen, mit der wir Fragmente erschaffen haben, die in sich keine hermetisch abgeschlossenen ‚Räume’ repräsentieren und andere, parallel stattfindende Ereignisse nicht ausschließen. Von einer bestimmten Perspektive aus betrachtet, benötigen mein Sound und Rutgers Sound sicherlich nicht unbedingt Bilder, und ebenso wenig brauchen Sabines Videos notwendigerweise Sound — dennoch haben wir alle diese Dinge, die wir entwickelt haben, zusammengeführt, und lassen sie kontinuierlich miteinander kommunizieren. Dies funktioniert nur, weil wir in unseren eigenen Teilen den jeweils anderen Raum gewähren.
Duchamp sagte einmal, dass ein Kunstwerk erst dann vollendet sei, wenn es vom Betrachter wahrgenommen wurde. Vielleicht gilt hinsichtlich einer Kollaboration, dass ein Kunstwerk erst dann wirklich vollendet ist, wenn jedem der Beteiligten eine Stimme gegeben ist — und vielleicht besitzt nicht nur jeder von uns dreien eine klar hörbare (oder sichtbare) Stimme, sondern zu Zeiten auch die Präsenz entfernter Kirchenglocken...
(Dieses Gespräch wurde im Oktober 2010 über mehrere Wochen per Email geführt.)